Ask the Coach #9 – Knie vor die Zehen oder nicht?

Ask the Coach #9 – Knie vor die Zehen oder nicht?

„Ask the Coach“ ist die Kolumne in der Wolfgang Unsöld Eure Fragen beantwortet. Das gleichnamige Buch erscheint am 13.Februar 2017. Du kannst es direkt hier auf Amazon vorbestellen.

Frage: Mich hat vor kurzem ein Trainer in meinem Studio bei Kniebeugen korrigiert. Er meinte ich soll die Knie nicht vor die Zehen schieben. Es fühlt sich jedoch für mich richtig an wenn ich ganz nach unten gehe. Und auf den Kniebeugen Bildern, die Du postest sind die Knie immer weit vor den Zehen. Kannst Du den Vorteil begründen damit ich dem Trainer das nächstes Mal sagen warum ich das so mache?

WU: Es sind meist Trainer, die die Biomechanik und funktionelle Anatomie des Knies nicht verstanden haben oder Trainierende, die oftmals selbst auf Grund mangelnder Mobilität nicht in der Lage sind tiefe Kniebeugen zu machen, die leider immer noch den „Es ist schädlich, das Knie vor die Zehenspitzen zu schieben“-Mythos verbreiten. Das ist Unsinn. Zum einen ist es ein natürlicher Bewegungsablauf das Knie komplett zu beugen, jedes Kleinkind macht schon bevor es das erste Mal laufen kann. Zum anderen kann man keine Treppenstufe auf normale Weise hoch oder runter gehen ohne das Knie vor die Zehenspitzen zu schieben. Teste das mal selbst an der nächsten Treppenstufe.

Das Kniegelenk ist dazu gemacht um gebeugt und gestreckt zu werden.

Eine Studie zu diesem Thema, die mir YPSI A-Lizenz Trainer und freier Autor Philip Schmieder vor einiger Zeit geschickt hat, stammt von der University of Memphis, Tennessee. Dort wurden Kniebeugen mit den Oberschenkeln parallel zum Boden, bei denen das Knie vor die Zehenspitzen geschoben wird mit Kniebeugen bei denen das Vorschieben der Knie durch ein Holzbrett blockiert war miteinander verglichen (siehe Bild):

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Wie man sieht handelt es sich nicht um eine tiefe Kniebeuge, da diese nicht möglich ist wenn die Knie hinter den Zehenspitzen bleiben sollen. Aber selbst bei einer parallelen Kniebeuge (Oberschenkel parallel zum Boden) zeigten sich gewaltige Unterschiede.

Dies waren die Ergebnisse der Studie:

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Wie in den Ergebnissen zu sehen ist, war das Drehmoment in den unlimitierten (der linken) Kniebeuge etwas höher als in der limitierten Kniebeuge. Jedoch war das Drehmoment im Hüftgelenk bei der limitierten Kniebeuge über 1000% größer als in der Kniebeuge, bei der die Knie vor die Zehen geschoben wurden.

Was bedeutet das? Entweder die Belastung ist auf den Knien oder sie wird durch das exzessive Vorlehnen – mit dem der Schwerpunkt nach vorne verlagert wird um das zurückschieben des Gesäßes auszugleichen – auf den unteren Rücken/ die Wirbelsäule verlagert. Biomechanisch ist dies wesentlich ungünstiger als die etwas größere Belastung der Knie und eine deutlich schlechtere Position für die Bandscheiben.

Neben den höheren Lasten auf Hüfte und Rücken wird auch bei einer Kniebeuge, bei der die Knie hinter den Zehen bleiben, die Muskulatur die Hüft- und Kniegelenk streckt, primär Quadrizeps, Beinbizeps und Gesäß, nicht optimal über einen vollen Bewegungsradius trainiert. Was entscheidend ist zur Verbesserung und Erhalt von Mobilität, Stabilität und Kraft in Knie und Hüfte.

Bei einer optimal ausgeführten Kniebeuge wird die Belastung auf Knie und Rücken verteilt. Und die Knie bewegen sich so weit wie möglich vor die Zehen für eine optimale Rekrutierung der Knie- und Hüftstrecker.

Viel Erfolg bei der Optimierung der Knieposition beim Kniebeugen!

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Du hast eine Frage für die „Ask the Coach“ Kolumne, dann stell sie unten in den Kommentaren und mit etwas Glück wird Deine Frage für einen der kommenden Posts oder das nächste „Ask the Coach“ Buch ausgewählt.

Mehr zum Thema Kniebeugen inklusive einem 10 Phasen Programm findest Du auch im YPSI Handbook – Improve your Squat

Bild: Der österreichische Sprinter & Powerlifter Enno Vogel bei 160kg Kniebeugen mit erhöhten Fersen im YPSI. Und den Knien weit vor den Zehen.

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