Ich freue mich zusammen mit Nicolas Wolf, Sport-Fachberater des Regierungspräsidiums Stuttgart ein neues, innovatives Unterrichtskonzept zu initiieren.
Das Motto: Pull yourself up and learn!
Die Klimmzugstangen wurden diese Woche in der Schule montiert und über 100 Schüler/Innen der Klassenstufen 9 und 10 der Eduard-Spranger-Gymnasium in Filterstadt starten am kommenden Montag mit dem Klimmzug Tag und dem anschliessenden Klimmzugprojekt. Hier eine Übersicht über das Projekt und dessen Um- sowie Zielsetzung:
Warum Klimmzugtraining im Klassenzimmerunterricht?
Ein innovatives Unterrichtskonzept muss nicht zwingend Elemente digitalen Lernens beinhalten. Innovativ ist ein Unterrichtskonzept auch dann, wenn z.B. vermeintlich starre Unterrichtsstrukturen aufgebrochen und aktuelle, für das Lernen in der Schule relevante, wissenschaftliche Erkenntnisse nachhaltig im Unterricht umgesetzt werden.
„Pull yourself up and learn!“ erfüllt die beiden genannten Kriterien: Mit Strength Coach Wolfgang Unsöld, Gründer und Leiter des Personal Strength Instituts „YPSI“ im Stuttgarter Westen, bringt sich ein international sehr erfolgreicher und stark nachgefragter Fachmann für Krafttraining in die Schule ein. Ein Ziel dieser außergewöhnlichen Zusammenarbeit von Schule und Spitzentrainer ist die Verbesserung der Kraftfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Damit trägt das Vorhaben auch zur Umsetzung der Bildungsplanvorgaben für das Fach Sport bei, da der Inhaltsbereich „Fitness entwickeln“ eine entscheidende Rolle bei der Entfaltung prozessbezogener Kompetenzen, insbesondere der Bewegungskompetenz, spielt. Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für die Weiterentwicklung der Kraftfähigkeiten ist allerdings die Trainingshäufigkeit, d.h. ein regelmäßig durchgeführtes Krafttraining. Dies ist jedoch im Rahmen des Sportunterrichts nur bedingt möglich, da die meisten Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg nur 2 Sportstunden pro Woche haben (2 x 45min oder 1 x 90min). Die beschriebene Problematik trägt maßgeblich zur Entscheidung bei, die Krafttrainingsintervention im Klassenzimmerunterricht durchzuführen!
Gleichermaßen ausschlaggebend für die Entscheidung während des Klassenzimmerunterrichts zu trainieren, sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse einer noch jungen Disziplin der Gehirnforschung, der Bewegungs-Neurowissenschaft: Demnach ist körperliche Aktivität bestimmter Art, Dauer und Intensität, von hoher Bedeutung für die geistige Gesundheit und die kognitive Leistungsfähigkeit (siehe Übersicht von Ratey / Hagermann, 2013)! Dabei belegen zahlreiche empirische Befunde, dass sich durch Sporttreiben insbesondere die sogenannten exekutiven Funktionen (EF) trainieren lassen. Die EF werden auch als kognitive Kontrollfunktionen bezeichnet und leisten damit einen erheblichen Beitrag zur kognitiven Leistungsfähigkeit. Daraus resultiert ein weiteres Ziel des geplanten Unterrichtsvorhabens, nämlich die Förderung der exekutiven Funktionen durch Krafttraining zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Im Folgenden wird kurz auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Themen „Krafttraining bei Jugendlichen“ und „Förderung der exekutiven Funktionen“ eingegangen. Dabei beschränken sich die Ausführungen auf Inhalte, die für das Vorhaben besonders relevant sind.
Wissensstand
Zum Krafttraining bei Jugendlichen gibt es eine Fülle von Veröffentlichungen: Aus verschiedenen Publikationen, Übersichtsartikeln, Meta-Analysen, Positionspapieren und Fachbüchern (vgl. z.B. Faigenbaum et al., 2009, 2015; Fröhlich et al., 2011; Granacher et al., 2011) geht eindeutig hervor, dass ein systematisch durchgeführtes Krafttraining bei fachmännischer Betreuung sicher und effektiv ist und zu großen Zuwachsraten führt. Diese Kraftsteigerungsraten sind bei pubertären Mädchen in erster Linie auf eine Verbesserung neuronaler Mechanismen und intramuskulärer Koordination zurückzuführen. Bei pubertären Jungen ist, aufgrund des Testosteronanstiegs, der trainingsbedingte Kraftzuwachs außerdem durch Muskeldickenwachstum (Hypertrophie) zu erklären (vgl. Granacher et al., 2009).
Weiter lassen sich nach Auswertung der Fachliteratur mindestens vier wichtige Gründe dafür herausarbeiten, dass die Entwicklung der Kraftfähigkeiten von Jugendlichen auch im Schulsport hohe Relevanz hat (vgl. Thienes / Baschta, 2016): So ist ein ausreichendes Kraftniveau Voraussetzung für das Erlernen von Bewegungsfertigkeiten, wie sie z.B. in der Leichtathletik oder im Gerätturnen vorkommen. Zudem liegen zahlreiche Belege vor, die den positiven Effekt eines Krafttrainings auf das Knochenwachstum auch von Jugendlichen nachweisen, somit geht mit der Verbesserung der Kraftfähigkeiten eine Festigung des passiven Bewegungsapparates mit einher. Ebenfalls von großer Bedeutung sind die positiven Auswirkungen des Krafttrainings auf Körperbau, Selbstwirksamkeitserleben und Selbstkonzept. Durch Krafttraining lässt sich der prozentuale Körperfettanteil signifikant reduzieren. Die daraus resultierende veränderte Körperzusammensetzung hat, in Verbindung mit der Verbesserung der Kraftfähigkeiten, eine Weiterentwicklung des Selbstwirksamkeitserlebens in Bezug auf das Selbstkonzept zur Folge. Auch im Hinblick auf Verletzungshäufigkeiten und Haltungsschwächen weisen verschiedene Autoren auf den möglichen präventiven Charakter eines differenzierten Krafttrainings bei Jugendlichen hin.
Allgemeine Trainingshinweise zu Inhalten, Dauer und Umfang des Krafttrainings im Jugendalter können z.B. dem Positionspapier der National Strength and Conditioning Association (NSCA) entnommen werden: Faigenbaum et al. (2009) empfehlen darin mit relativ leichten Lasten zu beginnen und stets auf eine technisch saubere Übungsausführung zu achten. Es ist mit 1-3 Sätzen bei 6-15 Wiederholungen und vielfältigen Kräftigungsübungen für Ober- und Unterkörper zu trainieren. Das Training sollte spezielle Übungen zur Rumpfkräftigung enthalten. Des Weiteren ist mit 1-3 Sätzen bei 3-6 Wiederholungen und vielfältigen schnellkräftigen Übungen für Ober- und Unterkörper zu trainieren. Die Belastungsintensitäten werden bei zunehmendem Kraftniveau progressiv (5-10%) erhöht. Dabei sollte das Training zu Beginn an 2-3 nicht aufeinander folgenden Tagen der Woche durchgeführt werden.
Der Zusammenhang von körperlicher Bewegung und geistiger Beweglichkeit war schon Sokrates (469-399 v. Chr.) bekannt, von ihm stammt der Ausspruch „Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen“. Inzwischen wurden zahlreiche empirische Nachweise erbracht, die belegen, dass akute und chronische Wirkungen des Sporttreibens die kognitive Leistungsfähigkeit verbessern (vgl. Beck, 2014; Kubesch, 2014). Zur kognitiven Leistungsfähigkeit tragen u.a. die EF und der Intelligenzquotient (IQ) bei. Dabei kommt den EF besondere Bedeutung zu, denn sie sind besser trainierbar als der IQ und spielen eine größere Rolle bei z.B. der Vorhersage der schulischen und beruflichen Leistungen.
Nach Adele Diamond (in Kubesch, S. 19, 2014), einer weltweit führenden Wissenschaftlerin auf diesem Gebiet
„… hängen [die EF] von einem neuronalen Schaltkreis ab, bei dem der präfrontale Kortex (PFC) eine wichtige Rolle spielt, …. Die drei zentralen exekutiven Funktionen auf denen komplexere (wie logisches Denken) aufbauen, sind (1) inhibitorische Kontrolle (einem starken Drang, etwas Bestimmtes zu tun, widerstehen und stattdessen etwas besonders Notwendiges oder Angemessenes tun, …; (2) Arbeitsgedächtnis (Informationen im Gedächtnis behalten und mit ihnen arbeiten: Ideen gedanklich verändern; …; und (3) kognitive Flexibilität (imstande sein, die Perspektive zu wechseln oder den Aufmerksamkeitsfokus zu verlagern; eingefahrene Denkbahnen verlassen, um neue Wege der Problemlösung zu finden) ….
Die Leistung unserer EF ist hauptsächlich auf die Leistungsfähigkeit des PFCs zurückzuführen. Da das Gehirn als das anpassungsfähigste Organ unseres Körpers gilt, kann über körperliche Aktivität auf die Struktur und Funktion des Gehirns eingewirkt werden. Diese aktivitätsbedingte Neuroplastizität macht sich auf struktureller Ebene durch Neubildung, Wachstum, Aufrechterhaltung und Vernetzung von Nervenzellen bemerkbar. Diese Anpassungen können u.a. durch akute oder chronische Belastungseffekte hervorgerufen werden und lassen sich auf die Erhöhung neurotropher Wachstumsfaktoren (z.B. BDNF) und die gesteigerte Konzentration von Neurotransmittern (z.B. Dopamin) zurückführen (vgl. Kubesch, 2014). Mittlerweile gibt es eine Fülle empirischer Befunde, die den Zusammenhang zwischen BDNF (brain derived neurotrophic factor), synaptischen Plastizitätsvorgängen und erhöhten Lernleistungen betonen (vgl. Beck, 2014).
Akute Belastungseffekte auf kognitive Funktionen konnten u.a. bei jungen Erwachsenen nach einer 30-minütigen Krafttrainingseinheit nachgewiesen werden (Chang / Etnier, 2009a). In Bezug auf die EF stellte sich dabei ein Krafttraining mit moderater Intensität als besonders wirkungsvoll heraus.
Church et al. (2016) bestätigten chronische Belastungseffekte in Form eines BDNF-Anstiegs nach einem 7-wöchigen Krafttraining bei jungen Erwachsenen. Ein Krafttraining mit hohen Intensitäten und ein Krafttraining mit hohen Umfängen waren demnach gleichermaßen wirksam.
Fragestellung
Lassen sich die Kraftfähigkeiten und exekutiven Funktionen, von ca. 100 Schülerinnen und Schülern der neunten und zehnten Klasse, durch ein dreimal pro Woche durchgeführtes, ca. 15-minütiges, Klimmzugtraining im Klassenzimmerunterricht, innerhalb eines Schulhalbjahres verbessern?
Methode und Vorgehen
Zur Überprüfung der Entwicklung der Kraftfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler werden vor, während und nach der Trainingsintervention motorische Tests durchgeführt. Die Testauswahl erfolgt in Abstimmung mit Wolfgang Unsöld.
Evtl. werden zur Überprüfung der Entwicklung der exekutiven Funktionen der Schülerinnen und Schüler vor, während und nach der Trainingsintervention Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests durchgeführt (d2-R).
Evtl. werden die Tests außerdem von einer Kontrollgruppe durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler dieser Kontrollgruppe nehmen nicht am Training teil.
Am Unterrichtsvorhaben „pull yourself up and learn!“ nehmen 4 Lerngruppen mit insgesamt ca. 100 Schülerinnen und Schülern (SuS) des Profilfachs Naturwissenschaft und Technik („NwT“) teil. Eine Lerngruppe setzt sich aus SuS der Klassenstufe 9, die anderen drei Lerngruppen aus SuS der Klassenstufe 10 zusammen. Jede Lerngruppe führt zwei von drei Trainingseinheiten innerhalb des NwT-Unterrichts durch. Der NwT-Unterricht findet zweimal pro Woche statt und dauert jeweils 90min. Die dritte Trainingseinheit wird in einem anderen Fach durchgeführt. Durch das Training ändert sich die Artikulation des Unterrichts: Während einer ca. 30-minütigen Unterrichtsphase, in der die SuS selbstständig arbeiten, führt die Hälfte der SuS eine ca. 15-minütige Klimmzugtrainingseinheit durch. Dabei trainieren immer drei Schüler/-innen an einer Klimmzugstange. Während Schüler/-in 1 trainiert, übernimmt Schüler/-in 2 die Rolle des Trainers und Schüler/-in 3 macht Pause. Nach jedem Trainingssatz wechseln die Schüler/-innen ihre Rollen. Haben alle Schüler/-innen ihre Trainingseinheit absolviert, lernen sie im Klassenzimmer weiter und die andere Hälfte der Lerngruppe beginnt ihr Klimmzugtraining. Nach ca. 30min hat die gesamte Lerngruppe ihre Trainingseinheit abgeschlossen.
Die Trainingssteuerung erfolgt dabei durch Wolfgang Unsöld! Die genaue Vorgehensweise erläutert Wolfgang Unsöld im Rahmen des „Klimmzug-Tags“. Dieser findet am 26. Februar von 11.10 – 12.40 Uhr für die Schüler des Eduard-Spranger-Gymnasiums in Filderstadt statt.
Material
Neben den 5 Klimmzugstangen kommen Intervall-Timer zur Trainingssteuerung und Klemmbretter mit Trainingsplänen zur Trainingsdokumentation zum Einsatz.
Idee und Zeitplan
Das Unterrichtskonzept „pull yourself up and learn!“ wurde in Zusammenarbeit von Nicolas Wolf, Fachberater am Regierungspräsidium Stuttgart und Lehrer am Eduard-Spranger-Gymnasium in Filderstadt und Wolfgang Unsöld, Gründer und Leiter des Personal Strength Instituts in Stuttgart entwickelt. Die Durchführung des Unterrichtsvorhabens beginnt mit dem „Klimmzug-Tag“ am 26. Februar 2018 und erfolgt am Eduard-Spranger-Gymnasium. Die Projektdauer entspricht dem Zeitraum des zweiten Schulhalbjahres.
Literatur:
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