Ask the Coach #53 - Warum Seitheben für die Schultern überbewertet ist: Effektivere Alternativen für Dein Training

Ask the Coach #53 - Warum Seitheben für die Schultern überbewertet ist: Effektivere Alternativen für Dein Training

„Ask the Coach“ ist die Kolumne in der Wolfgang Unsöld Eure Fragen zu Training & Ernährung beantwortet. Das gleichnamige Buch ist im Riva Verlag erschienen und direkt hier erhältlich. 

Frage:  Hallo Wolfgang, ich habe auf Insta gelesen, dass du sagst, dass Seitheben für große, runde Schultern grundsätzlich überbewertet ist. Seitheben ist ja das, was man am häufigsten hört und sieht, wenn es um den Aufbau von Schultern geht. Wie du geschrieben hast, scheint das jedoch bei den wenigsten wirklich zu funktionieren, was mir jetzt auch aufgefallen ist. Deine Sicht auf die Dinge interessiert mich sehr. Kannst du vielleicht die Gründe dafür weiter ausführen?

WU: Klar, die Gründe, warum Seitheben für die Schultern überbewertet ist, und welche effektiveren Alternativen es gibt, sind wie folgt. Und ja, wie du gut beobachtest, ist Seitheben relativ nutzlos.

 

Warum ist Seitheben so populär?

Seitheben bekommt eine relativ große Aufmerksamkeit aufgrund der Tatsache, dass es eine Isolationsübung für die seitliche Schulter ist.

Seitheben hat jedoch zwei große Nachteile:

Zum einen ist die prozentuale Aktivierung aufgrund der Isolation relativ hoch, die absolute Überladung jedoch relativ gering.

Das herrührt davon, dass aufgrund des mechanischen Aspekts der Übung die Überladung der exzentrischen Phase relativ gering ist.

Gleichzeitig ist grundsätzlich die Überladung des Bewegungsradius relativ gering, wenn man davon ausgeht, dass nur etwa die oberen 30 % des Bewegungsradius, zwischen der Horizontalen des Oberarms und den 30° darunter, relevant überladen werden.

 

Ist Seitheben eine "schlechte" Übung?

Diese Aspekte machen Seitheben jedoch grundsätzlich nicht zu einer schlechten Übung, sondern eben nur zu einer Übung, die man pragmatischer betrachten muss, wenn es darum geht, effektiv große, runde Schultern aufzubauen.

Wenn man zum Beispiel zwei Sportarten betrachtet, die eine herausragende Schulterentwicklung haben, das sind Turnen und Gewichtheben.

Dann fällt hier auf, dass in diesen Sportarten grundsätzlich kein Seitheben ausgeführt wird.

Was hier ausgeführt wird, ist in erster Linie viel Drücken in verschiedenen Winkeln, insbesondere viel Überkopfdrücken bzw. muskuläre Arbeit über Kopf.

Beim Turnen ist das vor allem die Arbeit im Handstand, natürlich neben der Arbeit an den Ringen.

Beim Gewichtheben ist es natürlich jegliche Form von Überkopfdrücken, wobei die Stabilisierung der Langhantel über Kopf in der Endposition von Reißen beziehungsweise Stoßen.

Der große Vorteil von Überkopfdrücken ist, dass hier grundsätzlich ein deutlich größerer Teil des Bewegungsbereichs, und zwar ziemlich genau 100 %, überladen wird.

Ebenfalls ist natürlich die absolute Rekrutierung in Anbetracht der verwendeten Gewichte mit der wesentlich höheren exzentrischen Überladung deutlich höher, was grundsätzlich einen wesentlich effektiveren Reiz zum Muskelaufbau mit sich bringt.

 

Die Integration ins Programm Design

Beide Übungen haben grundsätzlich ihre Berechtigung und sollten sich in einem Trainingsprogramm, das den Fokus auf den effektiven Aufbau von großen, runden Schultern hat, wiederfinden.

Der große Fokus sollte jedoch aufgrund des Progressionspotenzials und der Effektivität auf das Überkopfdrücken liegen, was grundsätzlich zwei verschiedene Varianten sind: zum einen das Frontdrücken, bei dem die Startposition die Langhantel auf dem Schlüsselbein ist, sowie das Nackendrücken, bei dem in der Startposition die Langhantel auf dem oberen Trapez liegt. Quasi die gleiche Startposition der Langhantel wie beim Kniebeugen.

Beide Übungen haben ihre Vorteile, insbesondere für Beginner ist der große Vorteil des Nackendrückens der, dass hier neben der Stabilität auch Mobilität benötigt wird.

Entsprechend ist gerade zu Beginn das Nackendrücken als ein Indikator für eine gute Mobilität und Stabilität in den Schultern ein ausgezeichneter Weg fürs Training.

Zu einem späteren Zeitpunkt, vor allem dann, wenn höheres Volumen für die Schulter notwendig ist, finden Variationen des Seithebens ihren Platz im Programm Design.

Denn ein großer Nachteil des Überkopfdrückens ist, dass hier aufgrund des spezifischen Bewegungsmusters ein Progressionspotenzial bei mehr als 6-8 Wiederholungen pro Satz relativ gering ist.

Das bedeutet, das größte Progressionspotenzial für Überkopfdrücken liegt im Bereich von 1-8 Wiederholungen.

Gleichzeitig hat natürlich das Seitheben den Vorteil, dass hier aufgrund der geringeren exzentrischen Überladung und das Progressionspotenzial im Bereich der niedrigen Wiederholungen verschwindend gering ist. Das bedeutet, Seitheben hat ein größeres Progressionspotenzial, insbesondere zwischen 8 und 25 Wiederholungen pro Satz. Was basierend auf diesem Faktor Seitheben zu einer ausgezeichneten Ergänzung für Überkopfdrücken macht.

 

Ab wann kann man Seitheben einbauen?

Eine wichtige Benchmark des Langhantel- Nackendrückens im Sitzen sind 40 bis 50 Kilo für Frauen sowie 60 bis 80 Kilo für Männer für jeweils eine Wiederholung als Indikator der Kraft Überkopf.

Wenn diese Benchmark noch nicht erreicht ist, würde ich keinen großen Fokus auf das Seitheben legen.

Sobald diese Benchmark mal erreicht ist, wäre zum Beispiel ein sinnvoller Aufbau für ein Trainingsprogramm für den Oberkörper mit dem Fokus auf den Aufbau von großen, runden Schultern folgendes:

A1 Langhantel-Nackendrücken, sitzend, 6 Sätze à 4 bis 8 Wiederholungen, 4010, 120s
A2 Klimmzug, supiniert, schulterbreit, 6 Sätze à 2 bis 4 Wiederholungen, 4010, 120s

B1 Rudern, Sitz, mit Seil, zum Hals, 4 Sätze à 8 bis 12 Wiederholungen, 3011, 90s
B2 Kurzhantel-Seitheben, stehend, 4 Sätze à 10 bis 15 Wiederholungen, 2011, 90s

Insbesondere die Pause beim Seitheben legt noch einen größeren Fokus auf den primären Punkt der Überladung, den Umkehrpunkt, bei dem die Oberarme horizontal sind.

 

Fazit

Die beiden entscheidenden Punkte, die ich mache, sind zum einen, dass progressives Drücken, insbesondere Überkopfdrücken, entscheidend ist für den Aufbau von großen, runden Schultern ist.

Sowie dass das Seitheben in all seinen Varianten primär eine ergänzende Übung ist und entsprechend aus empirischer Sicht im Trainingsprogramm der meisten einen wesentlich geringeren Stellenwert haben sollte.

Einen höheren Stellenwert auf Überkopfdrücken zu legen, wird für die absolute Mehrheit zu wesentlich größeren Fortschritten und dem Ziel von großen, runden Schultern führen.

Dir viel Erfolg beim Training für große, runde Schultern und dem intelligenten Einsatz von Überkopfdrücken sowie Seitheben in deinem Programm Design!

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