In der Trainingswissenschaft werden Muskelfasern primär in zwei Typen unterteilt. Diese Unterteilung erfolgt aufgrund der Funktion der Muskelfasern, ihrer vom sauerstoffspeichernden Myoglobingehalt abhängigen Farbe und dem Ablauf der Muskelfaserzuckung. Es gibt:
1. Slow-Twitch-Fasern, auch ST-, rote, langsame zuckende oder Typ-I-Fasern genannt.
2. Fast-Switch-Fasern, auch FT-, weiße, schnell zuckende oder Typ-II-Fasern genannt.
ST-Fasern sind tendenziell langsam kontrahierende, ausdauernde Muskelfasern. FT-Fasern sind schnell kontrahierende Muskelfasern, die mehr Energie verbrauchen und eher ermüden.
Insgesamt gibt es nicht nur 2 oder 3 Fasertypen, sondern es ist ein Kontinuum mit über 30 verschiedenen Fasertypen. Zudem können durch anhaltende Veränderung des Aktivitätsmusters die Muskelfasern einer motorischen Einheit eines Typs mit der Zeit in einen anderen Typ umgewandelt werden – was besonders gut in Richtung des ausdauernden Teils des Kontinuums, also von schnell nach langsam, funktioniert. Daher der Spruch: „Sprinter werden geboren, Ausdauerathleten gezüchtet.“
Für den Kraftsport ist interessant, wie die Muskelfaserverteilung für bestimmte Muskelgruppen/Übungen beschaffen ist. Mit diesem Wissen kann man das Training besser steuern und typgerechter periodisieren. Ebenfalls entscheidend ist, dass obwohl oft eine Person in slow-twitch- oder fast-twitch-dominant kategorisiert wird, die Unterschiede von slow-twitch- zu fast-twitch-dominant innerhalb einer Person zwischen Muskel und auch zwischen den Bewegungsabläufe variieren können. So kann eine Person einen slow-twitch-dominanten Bizeps und fast-twitch-dominanten Brachialis bei gleichzeitig insgesamt fast-twitch-dominanten Ellbogenbeugern und slow-twitch-dominantem Trizeps haben. Hier ist eine exakte Differenzierung der Muskelfaserverteilung von Muskel oder Bewegungsablauf entscheidend.
Dafür existiert ein einfacher Muskelfasertest. Voraussetzung ist, dass die getestete Person die Übung bereits technisch beherrscht. Es macht keinen Sinn einen Anfänger zu testen, bei dem die Kraftwerte primär durch muskuläre Koordination und mangelnde neurologische Effizienz limitiert sind oder jemanden, der die Technik und das Tempo einer Übung nicht beherrscht.
Für den Test wird sich in einer gewählten Übung, beispielsweise Bankdrücken mit schulterbreitem Griff, auf das 1 RM (Repetition Maximum = Wiederholungsmaximum) hochgearbeitet.
Der Ablauf des Muskelfasertest:
6 Wiederholungen mit ca. 40% vom (geschätzten) 1 RM, 30s Pause
5 Wiederholungen mit ca. 50% vom 1 RM, 30s Pause
3 Wiederholungen mit ca. 60% vom 1 RM, 30s Pause
2 Wiederholungen mit ca. 75% vom 1 RM, 60s Pause
1 Wiederholung mit ca. 80% vom 1 RM, 120s Pause
1 Wiederholung mit ca. 85% vom 1 RM, 120s Pause
1 Wiederholung mit ca. 90% vom 1 RM, 180s Pause
1 Wiederholung mit ca. 95% vom 1 RM, 240s Pause
1 Wiederholung mit ca. 100% vom 1 RM, 240s Pause
10 Minuten Pause
Max. Wiederholungen mit 85% des zuvor bestimmten 1 RM
Abhängig von der Kraft des Getesteten und der Beschleunigung des Gewichts kann der Gewichtsschritt zwischen den einzelnen Wiederholungen zwischen 1,25 kg und 10 kg liegen. Sollten nach dem geschätzten 1 RM noch weitere Wiederholungen möglich sein, werden diese im Abstand von 240s mit progressivem Gewicht ausgeführt.
Das Tempo ist 4010 für alle Übungen. Die Ausführung muss gut bis sehr gut sein, sonst wird der Test abgebrochen und das letzte sauber bewegte Gewicht als 1 RM gewertet.
Es sollten maximal zwei Übungen an einem Tag getestet werden. Diese beiden Übungen sollten nicht direkt überlappen, wie z.B. zwei Drückübungen.
Empfohlene Übungskombinationen für den Muskelfasertest:
LH Bankdrücken mit schulterbreitem Griff und SZ Scottcurls mit schulterbreitem, supiniertem Griff
Dips und SZ Scottcurls mit schulterbreitem, supiniertem Griff
LH Nackendrücken, sitzend und SZ Scottcurls mit schulterbreitem, proniertem Griff
LH Kniebeugen und Beincurls, liegend
LH Kniebeugen, Fersen erhöht und Rumänisches Kreuzheben
Nachdem das 1 RM ermittelt wurde, macht der Getestete eine 10-minütige Pause. Anschließend werden mit 85 % des 1 RM im selben (4010) Tempo so viele Wiederholungen wie möglich ausgeführt.
Die Auswertung des Muskelfasertests:
1-3 Wiederholungen = Fast-Twitch
4-6 Wiederholungen = Mixed-Typ
7+ Wiederholungen = Slow-Twitch
Abhängig vom Ergebnis des Tests kann das Training für die getestete Übung entsprechend ausgerichtet werden.
Jemand der beim Bankdrücken mit 85% seines RM noch 8 Wiederholungen macht, wird bessere Zuwächse machen indem er die Akkumulations-Phasen auf höher-volumigen Trainingsprogrammen mit geringerer Intensität und die Intensivierung-Phasen auf die Steigerung der neurologischen Effizienz ausrichtet.
Jemand der beim Bankdrücken mit 85% seines RM nur 2 Wiederholungen macht, wird bessere Zuwächse machen indem er die Akkumulations-Phasen auf moderate Intensität mit einer Durchschnittswiederholung von ca. 5 Wiederholungen und die Intensivierung-Phasen auf die Maximierung der neurologischen Effizienz durch viele Sätze und 1 bis 3 Wiederholungen ausrichtet.
Insgesamt wird Krafttraining im Rahmen der wellenförmigen Periodisierung natürlich zwischen höherer Intensität/geringerem Volumen und höherem Volumen/geringerer Intensität variieren. Ebenfalls wird das Krafttraining insgesamt die Muskelfaserverteilung auf dem Kontinuum von Ausdauer zu Maximalkraft mehr nach rechts verlagert werden.
Viel Erfolg mit dem Muskelfasertest!
Bild: YPSI Athletin und Europameisterin im Shorttrack Speedskating 2015 Patrycja Maliszewska aus Bialystok, Polen ist eine der fast-switch-dominantesen Athletinnen mit der ich jemals zusammengearbeitet habe. Sie hatte über Jahre den schnellsten Start der Welt. Und machte bei nur 60kg Körpergewicht explosive LH Kniebeugen mit über 100kg.